Eine persönliche Begegnung mit Chiara Lubich, um ihren hundertsten Geburtstag zu feiern
Gestern hörte ich von einem bedeutenden Wirtschaftswissenschaftler: „Das gemein-same Leid hat uns plötzlich gelehrt, was das Gemein-wohl ist“. Das sagt in wenigen Worten eine große Wahrheit aus. Sie erinnert uns an eine weitere: „…alle Dinge sind durch ihr Gegenteil noch besser zu erkennen“. Während wir die Köpfe senken und für die Toten, die Kranken und die vielen unbekannten Menschen beten, die schweigend in den Krankenhäusern und an den Schlüsselpunkten der Städte arbeiten, erheben wir gleichzeitig bescheiden die Augen zum Himmel mit der Gewissheit im Herzen: Wir leben in Zeiten der Gnade. Wenn das Coronavirus sprechen könnte, würde es vielleicht sagen: „…Stopp, nicht bewegen, ich bin hier, um euch zu helfen…“
Dieses „Stopp“ war vielleicht das Letzte, was die Organisatoren der Hundertjahrfeier von Chiara Lubich in diesem Jahr, 100 Jahre nach der Geburt der Gründerin der Fokolar-Bewegung, erwartet hätten. Italien und viele Länder der fünf Kontinente hätten eigentlich Tausende von Gästen – große und kleine, Persönlichkeiten aus Politik und Kirche, Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen – erwartet um zu feiern und vor allem um Chiara zu begegnen, die weiterhin durch ihr großes Ideal, die Einheit, lebendig ist: „Alle sollen eins sein“ wie Jesus zum Vater gebetet hat (Joh 17,21).
Also „Stopp“ den öffentlichen Feierlichkeiten. Vorläufig. „Wir wissen nicht, wie lange es dauert, Wochen oder Monate… wer weiß.„, sagt Maria Voce, die wie alle zuhause bleiben muss, in einer Videobotschaft, die sie als Präsidentin an die Fokolar-Bewegung richtet. „Aber es wird vorbeigehen. Wenn wir gut leben in dieser Zeit, werden wir die lebendige und starke Gegenwart Jesu im gelebten Evangelium neu entdecken, seine Gegenwart im Bruder, in der Schwester, Jesus unter uns, der auch dann unter uns, in unserer großen Familie lebendig sein kann, wenn wir räumlich voneinander getrennt sind. Vor allem, aber, werden wir ihm begegnen im Ja zum Schmerz, in dem wir Jesus den Verlassenen erkennen – „den Gott Chiaras“, wie der Bischof von Trient gesagt hat. In Ihm werden wir auch Chiara begegnen und lernen, die Situation mit ihren Augen zu sehen. Auch wir werden die Erfahrung Chiaras und ihrer ersten Gefährtinnen wiederholen können, die kaum den Krieg oder das Kriegsende bemerkt haben, weil sie so gepackt waren von Gott und seiner Liebe. Diese Wirklichkeit war stärker als alles andere. Alles begann mit diesem neuen Glauben an die Liebe Gottes.“
Und sie ist es, die den Dank erntet. Gerhard Pross (CVJM Esslingen), einer der Initiatoren und derzeit Moderator von Miteinander für Europa, schreibt ihr unter anderem: „Chiara Lubich war eine ganz besondere Gnade Gottes an Euch, aber auch an das ganze Volk Gottes, ja an die gesamte Menschheit. Ihr zu begegnen war etwas ganz Besonderes und dank des Charismas war es ihr geschenkt, eine geistliche Bewegung zu gründen und darüber hinaus eine Fülle von Gründungs- und Erneuerungsimpulsen zu setzen. […] Sie war es, die uns auf den Weg des „Miteinanders“ gelockt hat, der über das Treffen von Verantwortlichen (Februar 2000) und „Miteinander wie sonst“ am 8.12.2001 in München zum „Miteinander für Europa“ im Mai 2004 in Stuttgart geführt hat. Sie war ohne Frage „primus inter pares“ im Leitungskomitee und hat uns mit Liebe, aber auch mit einer klaren Vision nach vorn geleitet. Ihr Feuer der Liebe, ihre Klarheit und Ihre Entschlossenheit haben das Miteinander für Europa auf den Weg gebracht. […] Von Herzen bin ich dankbar für das große Geschenk ihr begegnet zu sein und mit ihr zusammen unterwegs sein zu dürfen. Ihr zu begegnen hieß der Liebe zu begegnen. Jesus Christus strahlte durch sie hindurch, das konnte ich in vielen Begegnungen mit ihr immer wieder aufs Neue erfahren. Sie hat sich IHM ganz zur Verfügung gestellt.“
Auch die Schönstatt-Bewegung ist seit Beginn unseres ökumenischen Netzwerks dabei. So konnten die Worte des derzeitigen Generaloberen, Pater Juan Pablo Catoggio, nicht fehlen, der gemeinsam mit seinem Vorgänger, Pater Heinrich Walter, unter anderem schreibt: „Ihr großer Beitrag in dieser Epoche der Geschichte ist es, aus der Kraft der Liebe zum Herrn und zueinander immer die Einheit zu suchen, und konkrete Zeichen der Einheit zu setzen. Und aus diesem Lebensvorgang entsteht überall Schritt für Schritt eine neue Kultur, die nicht nur Christen, sondern alle Menschen guten Willens im Blick hat. Groß ist der Beitrag auch, weil er aus dem Herzen einer Frau kam, die keine Ämter und Vollmachten inne hatte oder je anstrebte. Das ist eine Spur, wie die Kirche in der Zukunft mehr Salz und Sauerteig in der aktuellen Weltgesellschaft werden kann.“
„Stopp“ all unseren Treffen. So können wir Chiara, unter vier Augen, gemeinsam mit dem Koordinationsteam von MfE in Österreich sagen: ‚Liebe Chiara! Wir setzen uns im „Miteinander für Europa“ ein! In diesem Netzwerk begreifen wir die Größe deines Traums, durch Hören auf Gott, Begegnungen und Versöhnung eine Weltgemeinschaft aufzubauen“.
Dieses „Stopp“ und die äußere Stille werden uns in dieser inneren Stille begleiten. Werden wir durch sie – als Einzelne, als Völker und Nationen – verstehen, was es nach diesem großen, weltweiten und vielleicht gesegneten Sturm zu verändern gilt? Und wie?
Mit Gerhard Pross wünschen wir uns, dass „daraus eine neue Offenheit für den Glauben in Europa erwächst und es gelingen möge, dass wir Christen mutig unseren Glauben bekennen und leben.“
Ilona Toth
Foto: Chiara Lubich mit Maria Voce ©CSC Audiovisivi; Foto Chiara Lubich mit Gerhard Pross / mit P. Heinrich Walter ©Severin Schmid; Logo Centenary Chiara Lubich ©Fokolar-Bewegung
0 Kommentare