Eine europäische Kultur ist vonnöten

Eine europäische Kultur ist vonnöten

Wenn du Präsident der Europäischen Kommission wärst, welche Prioritäten stünden auf deiner Agenda, um die Gemeinschaft unter den europäischen Völker zu erhalten und zu fördern?

Die dringlichste Reform, die es auf europäischer Ebene anzugehen gilt, ist nicht die politische oder wirtschaftliche, sondern die kulturelle. Es bräuchte ein umfassendes Wissen darüber, wie die europäischen Institutionen funktionieren; auch sollten Programme nachhaltig finanziert werden, die sich mit unserem Wunsch des Zusammenseins und mit der geschichtlichen Tragweite des Experiments der europäischen Integration befassen. Es wäre wichtig, in den künstlerischen und kulturellen Bereich (Musik, Kunst, Film) zu investieren und dabei vor allem das junge Publikum im Auge zu haben. Man müsste also ein Bewusstsein und ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Union schaffen.

Hat Europa eine Zukunft? Welchen Beitrag dazu siehst du etwa von Seiten der Kirchen oder der christlichen Bewegungen und Gemeinschaften?

Die christlichen Gemeinschaften könnten die Angelpunkte sein, auf die sich das künftige europäische Projekt abstützen kann. Die im Christentum implizite Botschaft der Gemeinschaft, seine Aspekte der gesellschaftlichen Solidarität und der zivilen Verantwortung, die das geistliche Wachstum in der christlichen Religion begleiten, sind an der Basis unseres Zusammenseins und unserer Verbundenheit in der Vielfalt. Die Geburt Europas verdanken wir großen Staatsmännern, die diesen Geist der Geschwisterlichkeit teilten. Diese Dimension gilt es neu zu entdecken.

von Federico Castiglioni (Rom, 17/11/88). Nach dem Studium der Politikwissenschaften ist er derzeit Doktorand für europäische und internationale Studien an der Universität Roma Tre. Zu Themen wie Aktualität Europa oder der Rolle der Europäischen Union in der globalen Welt, hat er verschiedene populärwissenschaftliche und wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Er ist Beauftragter für die Außenbeziehungen der Jungen Europäischen Föderalisten (GEF Italien).  

 

 

 

 

So stelle ich mir Europa vor: Die Stimme der Jugend

So stelle ich mir Europa vor: Die Stimme der Jugend

Der europäische Traum war von Beginn an  auch die Gelegenheit, die gegenseitigen Schwierigkeiten zwischen den europäischen Völkern und die Jahrhunderte alten Vorurteile zu überwinden.

Leider ist in der europäischen Integrationsgeschichte das Kapitel „Jugend“ oft zugunsten von anderen nicht weniger wichtigen Themen, wie  Umweltschutz und die Rechte der Arbeiter, geopfert worden. Die Dinge haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts allmählich geändert, als einige Austauschprogramme für Jugendlich geschaffen wurden; das bekannteste war „Erasmus“ für Universitätsstudenten, dazu einige Programme zur Unterstützung von Beschäftigung, wie etwa „Garanzia Giovani“ (Garantie Jugend).

Europa ist eine verlockende Perspektive für die Jugend. Viele von ihnen sehen dabei die Gelegenheit, eine erweiterte Gemeinschaft von Männer und Frauen zu bilden, welche Kontaktpunkte suchen können zwischen den Kulturen und Traditionen, die schon heute starke gemeinsame Wurzen haben. Europa bietet auch die Möglichkeit zu arbeiten und zu reisen, den eigenen Horizont zu erweitern und sich nicht mehr durch die nationalen Grenzen einengen zu lassen. Die Kundgebungen von Jugendlichen nach dem Brexit, die lauthals forderten, die Abstimmung über die Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft nochmals zu überdenken, sagen uns viel über die Verbundenheit der Jugend mit unserem Kontinent und seinen Werten.

Andererseits: wer glaubt, dass unter den Jugendlichen eine optimistische und zuversichtliche Vision für Europa vorherrscht, irrt sich. Täglich fragt sich unsere Generation, ob die Versprechungen von materiellem und geistigem Wohlstand, von Gleichheit unter den europäischen Völkern und von Liebe zwischen unseren Nationen wirklich eingelöst wurden. Italien kennt 40% Jugendarbeitslosigkeit. Sei diese nun die Schuld von unserer Regierung oder von der Europäischen Union, dort, wo es keine Arbeit gibt, fehlt auch die menschliche Würde (wie dies sowohl Papst Benedikt XVI, als  auch Papst Franziskus betonen). Die europäische Reaktion auf die Finanzkrise war zögerlich und ungenügend, wodurch die Ungleichheiten noch betonter wurden und viel Leid brachten. Gab es bis vor 5-6 Jahren praktisch keine Stimme gegen das Projekt Europa, so sind es heute schon viele, die sich von diesem Traum entfernen wollen, weil sie ihn als unerfüllbar erachten. Die Jugend ist sich dieser Probleme völlig bewusst. Die sogenannte „Erasmus Generation“ entfremdet sich immer mehr vom europäischen Traum, wie es die Stimmabgaben in Italien, Spanien und Frankreich zeigen.

Dennoch könnte sich aus der Zukunft der Jugend die Perspektive wieder ändern und das Denken der Regierenden in Europa geradezu revolutionär beeinflussen . Welche Welt erwartet uns? Eine gespaltene Gesellschaft, ungerecht und voller Angst, oder eine, die geeint ist und Vertrauen vermittelt, die den Rechtsstaat bewahrt und zuversichtlich in die Zukunft schaut? Hier lieg der Unterschied zwischen Europa haben oder nicht haben. Um die Zukunft der Jugend zu retten, müssen unsere Regierenden einige Opfer bringen. Dabei sprechen wir nicht von der Beschränkung von Autos und Gehältern, ein Ziel das, so scheint es uns, sogar mit einer grosser Bereitwilligkeit schon erreicht ist. Nein, das wirkliche Opfer wäre der Verzicht auf Macht zugunsten von etwas Höherem.

Warum hat man noch kein Ministerium für europäische Ökonomie geschaffen? Wir sind eine Union mit einer gemeinsamen Währung, aber ohne Staat. Warum gibt es keine europäische Diplomatie? Offizielle diplomatische Beziehungen zwischen Staaten aufrechtzuhalten, die unter vielen Aspekten eine Konföderation bilden (deren Minister sich täglich hören), ist eigentlich eine Geldverschwendung. Warum gibt es keine wirkliche Wahl beim Präsidenten der europäischen Kommission? Könnte man sich auch am Fernsehen und auch auf öffentlichen Plätzen ein Bild machen von demjenigen,  der Europa regieren wird, könnte dies zu mehr Verantwortung nach oben und mehr Mitverantwortung nach unten führen. Warum macht man mit diesen Dingen nicht Ernst oder nur sehr zögerlich und fast lustlos?

Der Christ kennt die Antwort, denn er kennt den Unterschied zwischen der Macht zum Eigennutz und der Macht, deren Zweck es ist, ein Gemeinwohl zu erhalten, dessen Verantwortung den Politikern obliegt. Die Jugend ist bereit, den europäischen Traum zu unterstützen, unter der Voraussetzung, dass es der Traum einer Gemeinschaft von Männern und Frauen ist und nicht jener von Interessen und Regelwerken. Nur mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen und dem Bewusstsein, das gleiche Schicksal und den gleichen Weg zu teilen, kann der notwendige Kultursprung gemacht werden. Dies ist ein Schritt, den man schon Morgen tun könnte, denn eins ist klar: es ist die Wahl der Menschen, die den Lauf der Geschichte ändert.

 

von Federico Castiglioni (Rom, 17/11/88). Nach dem Studium der Politikwissenschaften ist er derzeit Doktorand für europäische und internationale Studien an der Universität Roma Tre. Zu Themen wie Aktualität Europa oder der Rolle der Europäischen Union in der globalen Welt, hat er verschiedene populärwissenschaftliche und wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Er ist Beauftragter für die Außenbeziehungen der Jungen Europäischen Föderalisten (GEF Italien) und Delegierter am italienischen Forum für die Jugend.

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