Einem christlichen Neuaufbruch entgegen

Einem christlichen Neuaufbruch entgegen

Miteinander für Europa 1999-2019 – Interview mit Pál Tóth

Die Initiative Miteinander für Europa wird 20 Jahre. Zu diesem Anlass stellen wir Pál Tóth, Dozent am Universitätsinstitut Sophia, Loppiano (Florenz), zwei Fragen zum Selbstverständnis des Netzwerkes und wie Miteinander für Europa auf die heutigen Herausforderungen antworten kann.

  1. 1999 ist Miteinander für Europa Wie unterscheidet sich diese freie Vernetzung von christlichen Gemeinschaften und Bewegungen von anderen Gruppen, die sich heute für Europa einsetzen? Was ist ihr Spezifisches?

Die Anerkennung des Andersseins und somit des Pluralismus ist eine Errungenschaft der westlichen Kultur. Im biblischen Glauben ist die Überzeugung verwurzelt, dass jede und jeder von uns ein einmaliges Geschöpf ist, für das Gott einen Plan der Liebe hat. Mit dieser Entwicklung stellt sich jedoch auch eine neue Herausforderung für die im Christlichen verwurzelten Gesellschaften: Wie gehen wir mit dieser reichen Vielfalt um? Wie können wir zu der für das Handeln notwendigen Einheit gelangen? Diese Frage ist im Zeitalter der globalen Herausforderungen sehr aktuell geworden. Heutzutage sind die Probleme nicht mehr nur lokal, sondern wir haben es mit übergreifenden Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Armut, ungezügeltem Kapitalismus usw. zu tun. Um auf diese Herausforderungen angemessen reagieren zu können, bedarf es einer viel effektiveren Zusammenarbeit auf globaler Ebene. Meiner Meinung nach könnte und sollte Europa, aufgrund seiner Rolle bei der Entwicklung innovativer Gedanken im Laufe der Jahrhunderte, eine entscheidende Rolle in diesem Prozess spielen.

Ich bin überzeugt, dass die Kirchen über eine besondere Ressource verfügen, um eine Einheit zu verwirklichen, die nicht unterdrückt, sondern Vielfalt schätzt. Diese Fähigkeit wird in der Initiative Miteinander für Europa sichtbar. Der Pluralismus ist auch in den Kirchen präsent, aber er ist ein Pluralismus der verschiedenen Charismen und Gaben und dieser Pluralismus ist zur Einheit fähig. Warum? Weil wir an der Basis jedes wahren Charismas ein Wort Gottes finden.

Die Charismen sind unterschiedlich, aber ihre gemeinsame Wurzel ist das Wort Gottes, letztlich das neue Gebot: Liebt einander. Dies ist ihr gemeinsames Fundament, das eine Grundlage für Einheit und Zusammenarbeit schafft. Tatsächlich gründet Miteinander für Europa seine Aktivitäten auf einem „Bund der gegenseitigen Liebe“ zwischen Vertretern verschiedener christlicher Bewegungen und Gemeinschaften unseres Kontinents.

Dann dürfen wir die Frauen und Männer der „ersten Stunde“ von Miteinander nicht vergessen. Seit 20 Jahren widmen sie sich mit Leib und Seele dieser Initiative. Gewiss sind sie schon aus rein menschlicher Sicht fähige Persönlichkeiten, die treu zu ihrem Engagement stehen. Aber ich würde noch mehr sagen: In dem jetzt fernen Jahr 1999 wurde ihre Seele von einem starken Licht, vom Göttlichen, berührt. Sie verstanden mit dem Herzen, dass sich in der gelebten Einheit eine andere Welt verwirklicht, ein neues Europa. Und dieser Moment der „Gründung“ hat in ihnen eine Überzeugung in die Einheit in Vielfalt hinterlassen, die sie heute an andere weitergeben möchten. Sie wissen, dass ihre Träume und Sehnsüchte der Vergangenheit inzwischen zu einer Überlebensbedingung geworden sind. „Alles beruht auf den Charismen. Wir müssen sie entdecken“. So Chiara Lubich, Mitbegründerin von Miteinander für Europa.

  1. Was sollte Miteinander für Europa tun, um immer mehr Sichtbarkeit zu gewinnen?

Die mehr als 300 Bewegungen und Charismen von Miteinander für Europa sind bereits ein sichtbares Zeugnis von Zusammenarbeit und Einheit. Über die Erklärung gemeinsamer Werte und Momente des gemeinsamen Gebets bei besonderen Anlässen hinaus, kommt zum Vorschein, was die Bewegungen bereits gemeinsam tun, um auf die oben genannten Herausforderungen zu reagieren. Sichtbarkeit erlangen sie durch die gemeinsamen Aktionen, die Zustimmung und Gemeinsamkeiten schaffen. In dieser Hinsicht könnte Miteinander für Europa schrittweise noch mehr gemeinsame Aktionsprojekte entwickeln.

Eines der Projekte könnte eine permanente Plattform für den Dialog zwischen Ost- und Westländern sein. Mit dem Treffen 2017 in Wien machte Miteinander einen ersten Schritt. Vertreter der Slowakei, der Tschechischen Republik, Ungarns, Sloweniens und Russlands nahmen den Dialog mit den westlichen Ländern auf. Man konnte das Engagement (und die Bemühungen) sehen, über die Unterschiede und Kritikpunkte hinauszugehen, die oft die Verständigung zwischen Ost und West behindern. Auf dieser Schiene würde ich für die Zukunft eine Zusammenarbeit in verschiedenen Themenbereichen sehen, wie zum Beispiel das Konzept von Nation, die Beziehung zwischen Kirche und Staat, die Menschenrechte, das Bedürfnis nach Einheit und Wahrheit usw.

Mit verschiedenen Projekten auf kirchlicher, politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene bildet Miteinander für Europa ein wachsendes Netzwerk von Bürgern, die sich für einen „christlichen Neuaufbruch in Europa“ einsetzen. Dabei soll negative Kritik überwunden und kritische Fragen im Blick auf Wachstumsmöglichkeiten für alle, gemeinsam besprochen werden.

Beatriz Lauenroth, Mariënkroon (Niederlande) 

 

Dialog unter verschiedenartigen Menschen

Dialog unter verschiedenartigen Menschen

Hier ein Impuls, eine Bereicherung für diejenigen von uns, die am 9. Mai, „Fest des Miteinander für Europa„, einen runden Tisch eröffnen möchten, um unter verschiedenartigen Menschen – aus Ost und West, Süd und Nord, Mitgliedern verschiedener Kirchen, Gläubigen oder nicht, Einheimischen oder Flüchtlingen – einen Dialog zu führen…

Die unterschiedliche Zusammensetzung Europas

Um die Situation Europas gut einordnen zu können, müssen wir uns der geopolitischen und kulturellen Wirklichkeit bewusst werden.

Das westliche Europa ist in erster Linie ein sozio-politischer Begriff und identifiziert sich hauptsächlich mit den europäischen Ländern der sogenannten „Ersten Welt“, Ergebnis einer jahrhundertelangen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung, die sich von der osteuropäischen deutlich unterscheidet. Der Begriff Westeuropa wird heute allgemein verbunden mit der liberalen Demokratie, dem Kapitalismus und auch mit der EU, obwohl durch die Erweiterung inzwischen auch östliche Staaten hinzugekommen sind. Die meisten Staaten dieser Region haben die westliche Kultur gemeinsam, obwohl es scheint, dass sie sich heute in einer Krise befindet. Und man bemerkt Verschiedenheiten und Spannungen auch im Innern des Westens, z. B. zwischen Nord und Süd. Oder denken wir an die Kirche Englands, die sich sicher nach der Brexit nicht von Europa abwenden wird, sondern seine ökumenische Beziehungen verstärken möchte.

Dagegen ist Osteuropa eher ein geografischer Begriff, ein Territorium, das durch andere Traditionen und Probleme gekennzeichnet ist. In großen Linien kann man sie in drei kulturelle Gebiete aufteilen: Mitteleuropa, der Balkan und die Länder der ehemaligen Sowjetunion; auf religiöser Ebene kann man die katholisch-protestantische und die orthodoxe Welt unterscheiden, welche auch Denkarten und Verhaltensweisen beeinflussen. Der gemeinsame Nenner der Ostländer findet sich in ihrer postkommunistischen Lage, mit den sozialen und politischen Anstrengungen auf dem schwierigen Weg der Demokratisierung. Mit der Erweiterung der EU passen sich einige von ihnen relativ schnell an das wirtschaftliche und rechtliche System des Westens an, während eine kulturelle Annäherung sehr viel langsamer vorangeht.

Zuerst eine Begegnungskultur aufbauen

Um zu einem fruchtbaren Dialog zu gelangen, müssen wir die Probleme graduell und nicht frontal angehen. Nach dem Weg, den das “Miteinander für Europa “ in seinen 18 Jahren gegangen ist und dessen Erfahrung 2016 an einem internationalen Kongress reichhaltig dargestellt wurde, ist es nun notwendig, aus einer kritischen Verteidigungshaltung herauszukommen und eine Kultur der Begegnung, des gegenseitigen Kennenlernens und der Versöhnung zu fördern.

In den letzten Jahrhunderten betrachtete der Osten den Westen als kulturelles und politisches Modell und entwickelte Verständnis dem gegenüber, was im Westen geschah. Oft jedoch stellten die Osteuropäer schmerzlich fest, dass auf Seiten der Westeuropäer ihnen gegenüber jegliche Kenntnisse fehlten, was leicht zu Missverständnissen führte. Ohne dass der Westen die Werte des Ostens anerkennt, kann man nicht zur Gleichheit und Gegenseitigkeit gelangen. Dazu braucht es Bescheidenheit, Vertrauen, Kenntnisse und gegenseitige Aufnahmefähigkeit.

Demzufolge sollten wir – denke ich – in einem ersten Schritt eine Kultur der Begegnung fördern, eine Plattform bzw. ein “Haus” schaffen, wo man miteinander in Dialog treten kann. In dieser Phase könnten wir auch über unsere kulturellen Traditionen nachdenken, über unsere verschiedenen Denkweisen, um uns so in einem konstruktiven Dialog zu schulen.

Auszug aus der Rede von Pál Tóth „Kultur der Begegnung und des Dialogs zwischen Ost und West in Europa“, Treffen des Trägerkreises von „Miteinander für Europa“ – Wien, 10. November 2017)

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