Interview mit Luca Maria Negro

Interview mit Luca Maria Negro

Luca Maria Negro, Pfarrer der Baptistischen Kirche, Präsident des Bundes Evangelischer Kirchen in Italien (FCEI), während der ökumenischen Gebetsfeier in Rom 2017

Ein Anlass wie der von heute Abend, bei dem sich verschiedene christliche Kirchen zum Gebet versammeln zeigt, dass Einheit in Vielfalt möglich ist. Wie sind Betonung und Bewahrung der eigenen konfessionellen Identität und Tradition mit der Begegnung und Öffnung auf  andere hin zu vereinbaren?

„Als ökumenische Bewegung üben wir uns darin seit mindestens 50 Jahren, denn die Bewegung steht unter dem Motto geeint aber verschieden, geeint im Respekt vor den Charismen der verschiedenen Einzelkirchen. Unter dieser Losung steht ja auch die Europäische Union, wobei es unklar ist, ob sie es wissentlich oder nicht von der ökumenischen Bewegung übernommen haben; aber wir glauben, dass dies heute mehr denn je gültig ist. Leider macht es den Anschein, als hätte Europa seine Seele verloren. Wir sind nicht so hochmütig, zu behaupten, wir wären die Seele Europas. Aber als Kirchen wollen wir mit Nachdruck bezeugen, wie grundlegend Ökumene, Dialog, der Aufbau einer dialogfähigen Gesellschaft, das Fördern säkularer Ökumene in der Gesellschaft ist.“

Die christlichen Werte, die einst zur Gründung Europas führten, wiederzuentdecken bedeutet, ein Gedankengut zu heben, das allen Völker gilt, nicht nur den Christen…

„Als Reformationskirchen unterstreichen wir diese Wiederentdeckung christlicher Wert nicht so sehr, denn das hiesse, sie auch jenen aufzudrängen, die unseren Glauben nicht teilen. Doch es gibt solche, wie etwa der Dialog oder die Solidarität, die zwar auch christliche Werte sind, aber von allen Menschen guten Willens bejaht werden können. Darauf setzen wir, auf die Wiederentdeckung dieser Werte, auf denen Europa aufgebaut wurde. Sicher waren viele Christen am Wachstum Europas massgeblich beteiligt, aber auch viele andere. In diesen Tagen haben wir uns daran erinnert, dass die Europäische Föderalistische Bewegung in Italien im Haus des Waldensers Mario Alberto Rollier ihren Anfang nahm, aber mit ihm waren auch säkulare Persönlichkeiten, wie etwa der Kommunist Altiero Spinelli; sie alle hatten sich zusammengefunden, um an einem Vereinten Europa zu bauen.“

Wie kann man konkret zum Dialog erziehen?

„Wie lernt man laufen? Indem man läuft. Dies gilt auf für den Dialog. Man muss damit beginnen, sich öffnen. Dabei wird man sicher auch Fehler machen, denn es ist leicht, auch ohne es zu wollen, den anderen in seiner Sensibilität zu verletzen. Unter diesem Aspekt hat die ökumenische Bewegung sicher viel Erfahrung und kann damit jene unterstützen, die sich neu in den Dialog wagen.“

Claudia Di Lorenzi

Interview mit Donato Falmi

Interview mit Donato Falmi

Dr. Donato Falmi, ehemaliger Direktor des Verlags „Città Nuova“ (Neue Stadt) und Mitverantwortlicher der Fokolar-Bewegung in Rom und Mittelitalien, während der ökumenischen Gebetsfeier in Rom 2017

Mit dem Blick auf das heute geteilte und verwirrte Europa, erscheint uns die Intuition von Chiara Lubich, die sich bereits 1999 für ein internationales ökumenisches Netzwerk von christlichen Bewegungen und Gemeinschaft stark machte, sehr prophetisch…

„Sie ist prophetisch, denn es scheint doch so, als ob Chiara vorausgesehen hätte, dass die Einheit Europas keine leichte Sache ist und dass es eine geistliche Kraft braucht, vielleicht verborgen, aber so mächtig, dass sie den negativen und zersetzenden Kräften, wie sie sich heute zeigen, entgegenwirken kann. Als Chiara die Idee lancierte, war Europa im Grossen und Ganzen noch ein ‘attraktives’ Ideal, das es heute wieder zu entdecken gilt. Wenn wir diesen Weg nicht gegangen wären und dieses Bewusstsein nicht erlangt hätten, wären wir heute dazu nicht mehr in der Lage. Es ist eine Konkretisierung, die über alle Grundsatzerklärungen hinaus Europa seine christliche Dimension wiedergeben möchte, das Christentum wieder zum Fundament Europas machen möchte. (…) Diese Erfahrung, die wir zusammen machen, als Kirchen und als Bewegungen die Europa angehören, aber mit verschiedenen Ausdrucksformen – denn das Christentum ist zwar eine einzige Realität, hat aber mit viele Ausdrucksformen – ist vermutlich die konkreteste Art zu zeigen, dass Europa ein christliches Fundament hat. In diesem Sinne ist es genial.“

Papst Franziskus hat betont, dass es den Dialog brauche, um ein geeinteres und solidarischeres Europa zu schaffen. Die Fokolar-Bewegung hat seit ihrer Gründung gerade im Dialog einen fruchtbaren Weg zur Einheit gesehen. Was bedeutet Dialog und wie lernt man die Kunst des Dialogs?

„Hier gibt es eine grundlegende Intuition, mit der Chiara die Natur Gottes, also die Liebe, neu entdeckt. Wenn wir ‘Liebe’ mit einem Begriff übersetzen möchten, der die Dynamik der Beziehung zum Ausdruck bringt, so können wir dies mit ‘Dialog’ tun. Was ist dialogischer als die Liebe? Andererseits, ohne Liebe kann es keinen echten Dialog geben, denn Dialog bedeutet, den Anderen annehmen und dazu ist es nötig, dass man sich selber zurücknimmt, ohne sich jedoch zu verleugnen, jedoch einen Schritt zurück macht, um dem Anderen Raum zu geben. Das ist das grundlegende Gesetz. Nur so versteht man, dass der Dialog im Grunde der einzige Weg ist, auf dem Einheit erreicht werden kann, denn hier werden Unterschiede respektiert und gleichzeitig erkennt man das existierende Gute, das was verbindet.“

In den letzten Jahren erleben wir den Vormarsch des Populismus und der sogenannten souveränistischen Bewegungen. Da muss Europa wohl eine Gewissensprüfung machen: Was hat man versäumt und wie kann gegengesteuert werden?

„Was diese Situation erklären kann, ist die Tatsache, dass Europa allzu sehr auf den materialistischen Wohlstand gesetzt hat. Europa hat für die ganze Welt Werte formuliert, wie jene, die in die internationalen Menschenrechte eingeflossen sind und die von allen Leader der Welt unterzeichnet wurden. Aber die Verlockungen eines oberflächlichen, materialistischen Wohlstands, der vergessen hat, was die eigentlichen, tiefen Sehnsüchte des Menschen sind, sind eine harte Realität. Mit dem Erreichen der grossen Zivilisationsziele hat Europa auch einen Wohlstand erreicht, der es vergessen liess, welches die grundlegenden Voraussetzungen für das gesellschaftliche Zusammenleben sind. Heute bezahlen wir den Preis dafür, aber vielleicht sind wir dabei, mit grosser Mühe die vergessenen Werte wieder zu entdecken. Was nicht heisst, dass der materielle Wohlstand keinen Wert habe, aber eben im richtigen Mass und am richtigen Ort, d.h. nicht an erster Stelle.“

Interview mit Kard. Kurt Koch

Interview mit Kard. Kurt Koch

Ökumenischer Gebetsabend für Europa, Rom 24.3.2017 – Interview mit Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen

Eminenz, diese Gebetsinitiative, der verschiedene christliche Konfessionen zugesprochen haben zeigt, dass Einheit in Vielfalt möglich ist. Welches Beispiel kann dieser Abend einem Europa geben, das in den grundlegendsten Fragen noch immer so getrennt und zerrissen ist?

„Dieses Gebet ist von Bewegungen verschiedener Kirche organisiert worden: Es gibt grosse Verschiedenartigkeit und Vielfalt, aber auch Einheit und wir sind alle Miteinander hier für Europa. Diese Versöhnung zwischen Einheit und Vielfalt ist auch für Europa sehr wichtig: Es muss zu einer Einheit zusammenwachsen, aber nicht um Vielfalt zu leugnen, sondern sie zu vertiefen und den einzelnen Staaten die Möglichkeit zu bieten, ihren Beitrag zur Einheit zu leisten.“

Die christlichen Bewegungen die zusammenfinden, haben auch das Ziel gemeinsam «die Zeichen der Zeit» zu erkennen, jene Zeichen, die in einem bestimmten historischen Moment zeigen, dass die Menschheit, wenn auch langsam, auf dem Weg zur Einheit ist. Gibt es heute solche Zeichen?

„Die grosse Herausforderung ist heute die Flüchtlingskrise. Für Europa ist die Aufforderung der Stunde die Gastfreundschaft und Offenheit den anderen gegenüber. Es gibt eine Weisheit: ‘Wenn ich nur England kenne, kenne ich England noch nicht. Ich kenne England erst dann, wenn ich auch andere Länder, wie etwa Frankreich und Italien, kenne’.  Wenn wir dann sehen, dass der Andere nicht mein Feind ist, ist das ein guter Anfang, wenn wir das neu erkennen, dann sind wir auf dem guten Weg.“

Papst Franziskus hat unterstrichen, dass der Weg zum Frieden über die Integration, den Dialog und die Arbeit führt. Arbeit sei für Europa ein prioritäres politisches Anliegen. Wie denken sie darüber?

„Es ist notwendig, dass allen der Zugang zu einer Arbeit ermöglicht wird. Dies ist eine grosse Herausforderung, weil sie mit der Würde des Menschen zu tun hat. Und in der Arbeit ist solidarisches Miteinander und nicht Geringachtung geboten. Auch die Zugangsmöglichkeit zu einer menschenwürdigen Arbeit ist ein Beitrag zur Einheit Europas.“

Claudia Di Lorenzi

Interview mit Pater Heinrich Walter

Interview mit Pater Heinrich Walter

Pater Heinrich Walter, internationaler Koordinator der Schönstatt Bewegung, anlässlich des ökumenischen Gebetsabends in Rom 2017

Welchen Beitrag kann Papst Franziskus zur Entwicklung Europas, zum Aufbau eines solidarischeren und an christlichen Werten inspirierten Europas leisten?

“Ich denke, dass der Papst als Argentinier aus einer anderen, objektiveren Perspektive auf Europa schaut und dabei erkennt, dass es diesem Europa an Vitalität mangelt, weil es erschrocken ist, Angst hat. Papst Franziskus ist ein Enthusiast und erkennt gut, dass die Welt nach Erneuerung ruft.”

Welches Zeugnis können die Kirchen, in ihrer Vielfalt geeint, Europa geben?

“In diesem Europa in der Krise haben die einzelnen Länder nicht die Freiheit, ihren eigenen Möglichkeiten entsprechend zusammenzuarbeiten. Einige Länder stehen zu sehr unter Druck aufgrund der Flüchtlingskrise. Es braucht also in Europa ein Bündnis unter den Staaten, damit jeder seinen Beitrag leisten kann.”

Claudia Di Lorenzi

 

Die Charismen und Europa

Die Charismen und Europa

Der Beitrag der Orden und religiösen Institutionen zur Einheit Europas

Europa hat schon zur Zeit des Römischen Reiches eine gewisse Einheitsbestrebung erlebt. Diese war aber, durch die ‘römischen Legionen’ gewaltsam erzwungen, nicht von Dauer. Als das Reich zerfiel, fand sich Europa wieder zerteilt vor und die ethnischen und kulturellen Verschiedenheiten seiner Völker, die ihre eigene Identität suchten, nahmen wieder überhand. So zeigte sich Europa um das 5. Jahrhundert als ein Gemisch von unter einander rivalisierenden Völkern.

In dieser Phase der Zersplitterung und in den darauffolgenden Jahrhunderten traten aber auch immer wieder geistgeführte Männer und Frauen auf, die den europäischen Völkern neue Ideale und hohe universale Werte brachten, die vor allem aus dem jüdisch-christlichen Erbe stammten. Es waren Werte und Ideale, die die europäischen Völker dazu brachten, wieder miteinander in Dialog zu treten, ihre Reichtümer zu teilen und so für den Kontinent ein neues, soziales und kulturelles Einheitsnetz zu flechten.

Vor einigen Jahren beschrieb dies Kardinal Walter Kasper  bei einer Tagung folgendermaßen: «Heilige wie Martin, Benedikt, Bonifatius, die Gebrüder Kiril und Methodius, Adalbert, Bernhard, Franziskus, Domenikus und viele andere mehr haben Europa geformt. Diese heiligen Männer und unzähligen heiligen Frauen sind der wertvolle Beitrag der Kirche zur Einheit und Identität Europas.»

Es waren Menschen, die neue Spiritualitäten, geistliche Bewegungen, religiöse Familien, kulturelle Zentren und soziale Werke inspirierten, durch welche in der Bevölkerung Europas nach und nach eine auf gemeinsamen Werten aufbauende Identität wachsen konnte.

Die erste grosse charismatische Familie gründete  Benedikt von Nursia (480-547) in Italien.  Um ihn herum wuchs, nach Afrika und dem Orient, nun auch im Abendland das Mönchstum: Das benediktinische Erbe, welches mit all seinen historischen Ausprägungen einen entscheidenden Beitrag leistete zur Evangelisation des Kontinents und zur Entstehung der europäischen Kultur des Mittelalters. Es hat beigetragen zum Dialog zwischen den Werten der römischen Zivilisation, die es mit den jüdisch-christlichen verband, und den neuen sogenannten „heidnischen“ Kulturen, die mit den Völker aus Norden und Osten nach und nach auf dem europäischen Kontinent Fuß fassten.

Die Benediktiner schufen mit ihrer weitverzweigten Expansion und ihren grossen Abteien geistliche Zentren, die gleichzeitig auch kulturelle Zentren waren und den humanitären, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt förderten, wobei sie sich besonders der Armen und Randgruppen annahmen.

Im 9. Jahrhundert begannen in Osteuropa zwei griechische Mönche, die Gebrüder Kiril und Methodius, neben der Evangelisation der dortigen Bevölkerung auch einen beachtlichen Prozess, den man als Fundament der Kultur der slawischen Völker bezeichnen kann. Die beiden Brüder aus Saloniki (Griechenland), obwohl geprägt vom griechisch-römischen Abendland, schufen ein neues Alphabet und leisteten damit einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Kultur und der Literatur der slawischen Völker.

Zwischen dem 11. und der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts traten weitere charismatische Männer mit großem kulturellem Tiefgang auf. Unter diesen war Bernhard von Clairvaux, der vom benediktinischen Stamm des Mönchstums kommend mit dem Zisterzienserorden eine neue Bewegung gründete

Das 13. Jahrhundert war dann die Blütezeit weiterer charismatischer Bewegungen: die Bettelorden. Auch diese wurden von charismatischen Männern meist in einem nationalen Kontext begonnen, erlangten aber bald übernationalen Charakter und verbreiteten sich über den ganzen Kontinent und später auch weltweit.

Besonders bekannt sind die dominikanische Bewegung, die auf den spanischen Gründer Domenico de Guzman (1170-1221) zurückgeht, und in Italien die franziskanische Bewegung, von Franz von Assisi (1182-1226) gegründet. Es sind religiöse Bewegungen die, obwohl in tiefer Spiritualität verwurzelt, auch manche Bereiche der Kultur und des menschlichen Wissens beeinflusst haben. Sie entwickelten die Theologie, aber auch die Philosophie, die Literatur, die Wissenschaft, die Kunst. Damals und auch später gab es an allen europäischen Universitäten Dozenten, die aus den Bettelorden hervorgegangen waren.

Mit dem Aufkommen des Humanismus und der Renaissance entstanden einzelne starke Staaten.  Zu diesem Prozess trugen die erwähnten charismatischen Bewegungen entscheiden bei, aber gleichzeitig kamen auch neue Charismen hinzu.

Das 16. und 17. Jahrhundert erlebte das Aufkommen neuer religiöser Familien. Ignatius von Loyola und die Jesuiten in Spanien. Theresa von Avila, Johannes vom Kreuz und die Karmeliter in Spanien, Johannes von Gott und die Barmherzigen Brüder, die sich der Kranken annahmen; In Frankreich Vinzenz von Paul und die Barmherzigen Schwestern; Franz von Sales, Johannes Baptist de la Salle für die Erziehung junger Menschen und Schulen, die allen zugänglich waren; Philippus Neri und die Kongregation des Oratoriums, Hieronymus Ämiliani, Kajetan von Thiene, Kamil von Lellis mit den Spitälern in Italien. In dieser Zeit vollzog sich auch innerhalb der Franziskaner eine Reform, aus welcher die Kapuziner hervorgingen. In Deutschland begann durch Martin Luther die grosse   Reformation.

Viele andere Spiritualitäten kamen auf und leisteten von ihren Anfängen an einen entscheidenden Beitrag zur kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Identität des modernen Europas. Jedes Charisma das hervorkam, hatte eine starke spirituelle Besonderheit, war aber auch ausgerichtet auf die Probleme, die Herausforderungen, die sozialen und menschlichen Bedürfnisse Einzelner und der Völker allgemein. Vielen Menschen in Europa ermöglichten diese Beiträge den Zugang zu Kultur, zu medizinischer Betreuung, zu Erwerbstätigkeit und Wohnraum, zu einem menschenwürdigen Leben unter Wahrung der Menschenrechte.

Dieses Phänomen wiederholte sich im 18. und 19. Jahrhundert. Trotz der Unterdrückung der religiösen Orden, zunächst durch Napoleon und dann durch einige europäische Staaten, entstanden unzählige neue religiöse Institute und Familien. Man denke an Don (Johannes) Bosco, der im Turin (Italien) des 19. Jahrhunderts die Salesianer gründete, an Josef Benedikt Cottolengo und  Joseph Cafasso, die Turiner Sozialheiligen, die den Kranken und Ärmsten beistanden, an den Beitrag des Bischofs John Henry Newman in England und viele andere.

Im 20. Jahrhundert entstanden  in Europa neue religiöse Institutionen, wie jene von Don Giacomo Alberione, von Don Luigi Orione, von Mutter Theresa von Kalkutta, Edith Stein und Maximilian Kolbe. Daneben gab es vielfältige anderen Formen charismatischen Lebens, die sich als kirchliche Laienbewegungen weit verbreiteten. Alle haben eine eigene starke spirituelle Identität, befassen sich aber zugleich auch mit den dramatischen Herausforderungen der Moderne in unserem Kontinent.

Ohne den einstigen Beitrag der religiösen Orden und Institute und ohne den Reichtum der heutigen kirchlichen Bewegungen, die innerhalb der verschiedenen Konfessionen und christlichen Gemeinschaften entstanden sind, wäre Europa um einiges ärmer und zerbrechlicher.

Obwohl in nationalen Kontexten entstanden, haben diese spirituellen und charismatischen Kräfte von Anfang an über die nationalen Grenzen hinaus gewirkt und somit einen starken Beitrag geleistet zur Schaffung eines geeinten, soliden, freien, geschwisterlichen und solidarischen Europa.

von P. Egidio Canil, Sacro Convento der Franziskaner in Assisi, Italien 

Immer noch und immer mehr Europa

Immer noch und immer mehr Europa

Der 60. Jahrestag der «Römischen Verträge» steht vor der Tür: In verschiedenen europäischen Städten sind Initiativen im Gange, die ein dialogbereites und geschwisterliches Europa bezeugen. Ein Beispiel: Triest, Italien

Als die Gründer des «Vereinigten Europas» vor 60 Jahren die ersten Schritte unternahmen, war in ihnen die Erinnerung an den bitteren Geruch des Blutes und der rauchenden Trümmer eines Krieges wach, der in Europa von nationalistischem und rassistischem Fanatismus ausgelöst wurde und dann zum Weltkrieg ausartete. Nur eine umfassende Bewegung der Neugestaltung der internationalen, zivilen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Beziehungen zwischen den Völkern und den Gemeinschaften, konnte einen anderen Weg einschlagen und uns aus dem ausgesäten Hass herausführen.

60 Jahre nach den historischen Tagen der «Römischen Verträge» von 1957, bezeugen wir aufs Neue die Berechtigung der Europäischen Union als unumgänglicher Weg zu Frieden und Koexistenz. Es stimmt: in der Europäischen Union steht nicht alles zum Besten und es gibt Mängel, Starrheit, übermässige Bürokratie, fehlendes Verständnis und schwerwiegende Ungleichheiten. Dennoch sind die Vorteile dieser Wiedervereinigung derart viele und von solcher Bedeutung, dass wir sie fördern und verbessern sollen, statt sie abzuschaffen, wie dies nationalistische und separatistische Kräfte immer wieder möchten und uns damit in eine Situation zurückführen würden, in der der Frieden wieder gefährdet wäre.

Mindestens vier Millionen junge europäische Studenten haben vom Erasmus-Programm profitiert, mit enormem Gewinn für ihre Aus- und Bewusstseinsbildung. Ebenfalls eindrücklich sind die Zahlen der Arbeiter und Fachkräfte, die sich frei bewegen konnten und nicht nur Fachkompetenz erworben haben, sondern auch den kulturellen, technologischen, kommerziellen und ökonomischen Austausch förderten. Viele junge Menschen haben sich zu europäischen Projekten ehrenamtlicher Tätigkeiten gemeldet und sich in den Dienst anderer nationaler Gemeinschaften gestellt. Gross ist der Austausch Studierender und Forscher, Dank der Zusammenarbeit von Universitäten. Auf den Arbeitsplätzen hat sich aufgrund der europäischen Vorschriften die Umweltschonung verbessert, die auch zu nationalen Gesetzen geworden sind; gleiches lässt sich vom Gesundheitssektor und von den Tätigkeiten im Bereich Tourismus und Kunst sagen. Unter den religiösen Gemeinschaften haben Einheits- und Integrationsprozesse begonnen, die alle christlichen Kirchen und alle Religionen betreffen.

Dies alles wollen wir nicht aufgeben, im Gegenteil! Wir wollen diese Art Lebensauffassung unser Völker – die in der Vergangenheit schon genug gelitten haben – noch weiter intensivieren. Um dieser Überzeugung Ausdruck zu verleihen, werden wir uns am 24. März 2017 um 18.00 Uhr im Saal des Oratoriums S. Giacomo zu einer Gedenkfeier dieser 60 Jahre versammeln. Dies verdanken wir der Zusammenarbeit von etwa zwanzig Bewegungen und Gemeinschaften verschiedenster Prägungen, die jedoch alle am Projekt Miteinander für Europa beteiligt sind. Dieses Netzwerk wirkt seit siebzehn Jahren in verschiedenen Städten, darunter auch Triest, und verbindet Christen verschiedener Kirchen, aber auch Gläubige verschiedener Religionen und Menschen ohne religiösen Bezug, die den Frieden und die Begegnung suchen und nicht die Konfrontation. Es wird ein Moment der Besinnung, der Geschwisterlichkeit und des Feierns sein, denn wir wissen längst, wie sehr wir Erfahrungsmomente der Übereinstimmung brauchen, die Sicherheit und einen erneuerten Humanismus fördern.

Für das Koordinationsteam von Miteinander für Europa in Triest,

Silvano Magnelli

Foto Triest: Di ryogt – www.flickr.com/photos/ryogt/12980775/, CC BY-SA 2.0