So stelle ich mir Europa vor: Die Stimme der Jugend

So stelle ich mir Europa vor: Die Stimme der Jugend

Der europäische Traum war von Beginn an  auch die Gelegenheit, die gegenseitigen Schwierigkeiten zwischen den europäischen Völkern und die Jahrhunderte alten Vorurteile zu überwinden.

Leider ist in der europäischen Integrationsgeschichte das Kapitel „Jugend“ oft zugunsten von anderen nicht weniger wichtigen Themen, wie  Umweltschutz und die Rechte der Arbeiter, geopfert worden. Die Dinge haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts allmählich geändert, als einige Austauschprogramme für Jugendlich geschaffen wurden; das bekannteste war „Erasmus“ für Universitätsstudenten, dazu einige Programme zur Unterstützung von Beschäftigung, wie etwa „Garanzia Giovani“ (Garantie Jugend).

Europa ist eine verlockende Perspektive für die Jugend. Viele von ihnen sehen dabei die Gelegenheit, eine erweiterte Gemeinschaft von Männer und Frauen zu bilden, welche Kontaktpunkte suchen können zwischen den Kulturen und Traditionen, die schon heute starke gemeinsame Wurzen haben. Europa bietet auch die Möglichkeit zu arbeiten und zu reisen, den eigenen Horizont zu erweitern und sich nicht mehr durch die nationalen Grenzen einengen zu lassen. Die Kundgebungen von Jugendlichen nach dem Brexit, die lauthals forderten, die Abstimmung über die Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft nochmals zu überdenken, sagen uns viel über die Verbundenheit der Jugend mit unserem Kontinent und seinen Werten.

Andererseits: wer glaubt, dass unter den Jugendlichen eine optimistische und zuversichtliche Vision für Europa vorherrscht, irrt sich. Täglich fragt sich unsere Generation, ob die Versprechungen von materiellem und geistigem Wohlstand, von Gleichheit unter den europäischen Völkern und von Liebe zwischen unseren Nationen wirklich eingelöst wurden. Italien kennt 40% Jugendarbeitslosigkeit. Sei diese nun die Schuld von unserer Regierung oder von der Europäischen Union, dort, wo es keine Arbeit gibt, fehlt auch die menschliche Würde (wie dies sowohl Papst Benedikt XVI, als  auch Papst Franziskus betonen). Die europäische Reaktion auf die Finanzkrise war zögerlich und ungenügend, wodurch die Ungleichheiten noch betonter wurden und viel Leid brachten. Gab es bis vor 5-6 Jahren praktisch keine Stimme gegen das Projekt Europa, so sind es heute schon viele, die sich von diesem Traum entfernen wollen, weil sie ihn als unerfüllbar erachten. Die Jugend ist sich dieser Probleme völlig bewusst. Die sogenannte „Erasmus Generation“ entfremdet sich immer mehr vom europäischen Traum, wie es die Stimmabgaben in Italien, Spanien und Frankreich zeigen.

Dennoch könnte sich aus der Zukunft der Jugend die Perspektive wieder ändern und das Denken der Regierenden in Europa geradezu revolutionär beeinflussen . Welche Welt erwartet uns? Eine gespaltene Gesellschaft, ungerecht und voller Angst, oder eine, die geeint ist und Vertrauen vermittelt, die den Rechtsstaat bewahrt und zuversichtlich in die Zukunft schaut? Hier lieg der Unterschied zwischen Europa haben oder nicht haben. Um die Zukunft der Jugend zu retten, müssen unsere Regierenden einige Opfer bringen. Dabei sprechen wir nicht von der Beschränkung von Autos und Gehältern, ein Ziel das, so scheint es uns, sogar mit einer grosser Bereitwilligkeit schon erreicht ist. Nein, das wirkliche Opfer wäre der Verzicht auf Macht zugunsten von etwas Höherem.

Warum hat man noch kein Ministerium für europäische Ökonomie geschaffen? Wir sind eine Union mit einer gemeinsamen Währung, aber ohne Staat. Warum gibt es keine europäische Diplomatie? Offizielle diplomatische Beziehungen zwischen Staaten aufrechtzuhalten, die unter vielen Aspekten eine Konföderation bilden (deren Minister sich täglich hören), ist eigentlich eine Geldverschwendung. Warum gibt es keine wirkliche Wahl beim Präsidenten der europäischen Kommission? Könnte man sich auch am Fernsehen und auch auf öffentlichen Plätzen ein Bild machen von demjenigen,  der Europa regieren wird, könnte dies zu mehr Verantwortung nach oben und mehr Mitverantwortung nach unten führen. Warum macht man mit diesen Dingen nicht Ernst oder nur sehr zögerlich und fast lustlos?

Der Christ kennt die Antwort, denn er kennt den Unterschied zwischen der Macht zum Eigennutz und der Macht, deren Zweck es ist, ein Gemeinwohl zu erhalten, dessen Verantwortung den Politikern obliegt. Die Jugend ist bereit, den europäischen Traum zu unterstützen, unter der Voraussetzung, dass es der Traum einer Gemeinschaft von Männern und Frauen ist und nicht jener von Interessen und Regelwerken. Nur mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen und dem Bewusstsein, das gleiche Schicksal und den gleichen Weg zu teilen, kann der notwendige Kultursprung gemacht werden. Dies ist ein Schritt, den man schon Morgen tun könnte, denn eins ist klar: es ist die Wahl der Menschen, die den Lauf der Geschichte ändert.

 

von Federico Castiglioni (Rom, 17/11/88). Nach dem Studium der Politikwissenschaften ist er derzeit Doktorand für europäische und internationale Studien an der Universität Roma Tre. Zu Themen wie Aktualität Europa oder der Rolle der Europäischen Union in der globalen Welt, hat er verschiedene populärwissenschaftliche und wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Er ist Beauftragter für die Außenbeziehungen der Jungen Europäischen Föderalisten (GEF Italien) und Delegierter am italienischen Forum für die Jugend.

Baumann „Durst nach Frieden“

Baumann „Durst nach Frieden“

(…. ) Jede Etappe und jede Phase der menschlichen Geschichte hatte einen gemeinsamen Nenner: sie war charakterisiert durch eine Eingliederung einerseits und einer Ausschließung andererseits.

Auf diese Weise entstand durch die Ausschließung und die Eingliederung eine gegenseitige Identifizierung. Das “Wir” konnte man messen an der gegenseitigen Feindseligkeit. Unser “Wir” bedeutete, dass wir nicht so sind wie sie – und das Ihrige, dass sie nicht so sind wie wir. Die einen brauchten die anderen um als miteinander verbundene Entität zu existieren und als Möglichkeit, sich durch einen Ort oder eine Gruppenzugehörigkeit identifizieren zu können. In der ganzen menschlichen Geschichte war das bisher so. Aus diesem Grund wurde viel Blut vergossen. Diese  Art von Selbstidentifizierung wuchs  aus einer Identifizierung  heraus, die  anders war im Vergleich zu der meines Nächsten.

Heute stehen wir vor der unausweichlichen Notwendigkeit der nächsten Etappe unserer Geschichte, in der wir den Begriff Menschheit erweitern.

Wenn wir von eigener Identität sprechen, haben wir dabei die Auffassung von dem, was wir in den Gedanken einer zusammengefügten Menschheit einschließen.

Ich würde sagen, dass wir vor einem weiteren Sprung stehen, der von uns die Abschaffung des Pronomens “Sie” verlangt. Bis jetzt hatten unsere Vorfahren etwas Gemeinsames: einen Feind. Heute, vor der Perspektive einer globalen Menschheit, wo finden wir diesen Feind?

Wir befinden uns in einer kosmopolitischen Realität, deshalb hat alles, was selbst in der entferntesten Ecke der Erde geschieht, Wirkung auf unseren ganzen Planeten, auf die zukünftigen Perspektiven. Wir hängen alle voneinander ab, davon gibt es kein Zurück mehr (…)

Zygmunt Baumann, Soziologe und Philosoph, 18.09 2016  Assisi, bei der Eröffnung des Interreligiösen Treffens “Durst nach Frieden”

Mattarella: das Europa der jungen Generation

Mattarella: das Europa der jungen Generation

(…) Ich möchte mich jetzt vor allem an die Jugendlichen wenden.

Ich weiß sehr gut, dass Eure Würde auch von der Arbeit abhängt und ich weiß auch, dass in unserem Land die Arbeit für die Erwachsenen ungenügend, oft prekär und schlecht bezahlt ist. Wenn es für sie so ist, so ist es noch mehr für euch. Eure Generation ist ausgebildeter als jene, die euch vorausgegangen ist.

Ihr habt sehr große Kenntnisse und eine große Potenzialität.

Euch muss die Möglichkeit gegeben werden, Protagonisten des Gesellschaftsleben zu werden.

Viele von euch studieren oder arbeiten in anderen Ländern Europas. Das ist oft eine große Chance. Doch es muss eine persönliche  Entscheidung sein. Wenn man gezwungen ist Italien zu verlassen, weil das Angebot fehlt, so befinden wir uns vor einer Pathologie , für die wir eine Abhilfe schaffen müssen.

Die Jugendlichen , die sich fürs Ausland entscheiden, verdienen immer Respekt und Unterstützung. Doch wenn man die im Ausland gereiften Erfahrungen nicht in unser Land zurückbringt, verarmt die ganze Gesellschaft.

Im vergangenen Februar an der Universität von New York bin ich Studenten aus allen Kontinenten begegnet. Eine Studentin hat ihre Ansprache damit begonnen, dass sie erklärte, dass sie sich nicht nur als Italienerin betrachte, sondern als Europäerin.

Viele Erfahrungen europäischer  Jugendlichen, die sich ihre Kultur, ihre Ideen und ihre Werte austauschen zeigen deutlich, dass Europa nicht einfach ein Produkt von Verträgen ist .

Ein Kontinent der nach Jahrhunderten getrennt war durch Kriege und Feindschaften, hat entschieden einen Weg des Friedens und einer gemeinsamen Entwicklung einzuschlagen.

Diese  Jugendlichen verstehen, dass in der heutigen Zeit die Entscheidung gemeinsam getroffen werden muss.

Angesichts der Tragödie, die die Kinder in Aleppo erleben, den tausenden von Menschen, die im Mittelmeer ertrinken und den vielen Kriegsherden in der ganzen Welt, erfassen sie noch mehr den Wert einer friedlichen europäischen Integration.

Sie akzeptieren nicht, dass Europa sich widerspricht, sich absondert und reaktionsträge wird, wie das oft bei der Einwanderung der Flüchtlinge geschieht.

Von der Europäischen Union erwarten  wir konkrete solidarische Gesten, bei dem Problem der Aufteilung der Flüchtlinge und bei der würdevollen Begleitung derer, die kein Recht auf Asyl haben und die deshalb in ihre Heimat zurückkehren müssen.

Sergio Mattarella, italienischer Staatspräsident, in seiner Ansprache an die Nation, 31.12.2016

 

Neue Horizonte nach Lund (Schweden)

Neue Horizonte nach Lund (Schweden)

Ein gemeinsamer Gedenktag 

„Es ist für mich eine große Freude heute hier zu sein und von den Werken des Heiligen Geistes Zeugnis zu geben, der zwischen den Jüngern Christi Einheit sät. Der Heilige Geist, wie es Martin Luther ausgedrückt hat, „beruft die ganze Christenheit auf Erden, sammelt, erleuchtet, heiliget und erhält in Jesus Christus im rechten, einigen Glauben”. Heute, in Lund und in Malmö, erfahren wir das moderne Wunder des Heiligen Geistes, so wie es die Jünger in meiner Heimatstadt Jerusalem vor zweitausend Jahren erfahren haben. Heute, während wir uns versammeln um unserer Hoffnung auf Einheit Ausdruck zu geben, erinnern wir uns an das hohepriesterliche Gebet Christi: ”Alle sollen eins sein (…) damit die Welt glaubt” (Joh. 17,21).

Danken wir dem einen und dreifaltigen Gott, dass wir uns auf dem Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft befinden. Der geschichtliche Tag heute vermittelt der ganzen Welt die Botschaft, dass eine mit Entschiedenheit gelebte Religiosität zu einer friedliche Versöhnung führen kann, anstatt noch mehr Konflikte in unserer bereits geplagten Welt  herbeizuführen. Wenn gläubige Menschen sich für Einheit und Versöhnung einsetzen, kann die Religion einen Wohlstand für die ganze Menschheit bewirken (…. )“.

Aus der Rede von Munib Younan, Präsident des Lutherischen Weltbundes, 31.10.2016

 

500 Jahre Reformation – ein gemeinsamer Gedenktag

Kurt Kardinal Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, erklärt in einem Artikel des Osservatore Romano (17.1.2017) die Bedeutung des lutherisch-katholischen Gedenkens der 500 Jahre Reformation

Koch erinnert in dem Artikel an das gemeinsame ökumenische Gebet von Papst Franziskus und dem Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), Bischof Munib Younan, beim ökumenischen Reformationsgedenken am 31.10.2016 im schwedischen Lund.

Dieser historische Moment wurde jedoch nicht nur positiv bewertet. Koch erklärt deshalb, dass es  weder um ein „Abdriften des Katholizismus in den Protestantismus“ gehe, wie katholische Kritiker fürchteten, noch um einen „Verrat der Reformation“, wie protestantische Kritiker unterstellten. Im Zeitalter der Ökumene seien solche polemischen Töne früherer Zeiten überwunden.

Beide Seiten sollten das gemeinsame Gedenken zum Dialog nutzen, fordert Kardinal Koch auf. „Das Reformationsgedenken 2017 erinnert an 1517, die Zeit, in der es noch keine Spaltung zwischen dem Reformator Martin Luther und der katholischen Kirche gab“, so der Kardinal.  Martin Luther wollte keine neue Kirche gründen, sondern die Christenheit im Sinn des Evangeliums reformieren.  Das wurde u.a. durch politische Vorkommnisse verhindert. Heute – so Koch – müssten die Christen nach 500 Jahren Trennung  lernen, in Einheit zu leben. Das Gedenkjahr sei eine Einladung dazu, sich die ursprüngliche Sorge Martin Luthers wieder zu eigen zu machen.  Es solle von Buße für die Verletzungen der Vergangenheit, aber auch  von Dankbarkeit für 50 Jahre Dialog zwischen Katholiken und Lutheranern und Hoffnung für die Zukunft geprägt sein.

(Zusammenfassung von Beatriz Lauenroth)

Der Traum von Papst Franziskus

Der Traum von Papst Franziskus

Anlässlich der Verleihnung des Karlspreises in Rom, am 6. Mai 2016, hat Papst Franziskus den Anwesenden seinen Traum von Europa anvertraut.

(…)  Mit dem Verstand und mit dem Herz, mit Hoffnung und ohne leere Nostalgien, als Sohn, der in der Mutter Europa seine Lebens- und Glaubenswurzeln hat, träume ich von einem neuen europäischen Humanismus: »Es bedarf eines ständigen Weges der Humanisierung«, und dazu braucht es »Gedächtnis, Mut und eine gesunde menschliche Zukunftsvision«. Ich träume von einem jungen Europa, das fähig ist, noch Mutter zu sein: eine Mutter, die Leben hat, weil sie das Leben achtet und Hoffnung für das Leben bietet.

Ich träume von einem Europa, das sich um das Kind kümmert, das dem Armen brüderlich beisteht und ebenso dem, der Aufnahme suchend kommt, weil er nichts mehr hat und um Hilfe bittet.

Ich träume von einem Europa, das die Kranken und die alten Menschen anhört und ihnen Wertschätzung entgegenbringt, auf dass sie nicht zu unproduktiven Abfallsgegenständen herabgesetzt werden.

Ich träume von einem Europa, in dem das Migrantsein kein Verbrechen ist, sondern vielmehr eine Einladung zu einem größeren Einsatz mit der Würde der ganzen menschlichen Person.

Ich träume von einem Europa, wo die jungen Menschen die reine Luft der Ehrlichkeit atmen, wo sie die Schönheit der Kultur und eines einfachen Lebens lieben, die nicht von den endlosen Bedürfnissen des Konsumismus beschmutzt ist; wo das Heiraten und der Kinderwunsch eine Verantwortung wie eine große Freude sind und kein Problem darstellen, weil es an einer hinreichend stabilen Arbeit fehlt.

Ich träume von einem Europa der Familien mit einer echt wirksamen Politik, die mehr in die Gesichter als auf die Zahlen blickt und mehr auf die Geburt von Kindern als auf die Vermehrung der Güter achtet.

Ich träume von einem Europa, das die Rechte des Einzelnen fördert und schützt, ohne die Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft außer Acht zu lassen.

Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand. Danke.

Verleihung des Karlspreises, Auszug aus der Ansprache von Papst Franziskus, Rom, Regia-Saal, Freitag, 6. Mai 2016

Link zum vollständigen Text: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2016/may/documents/papa-francesco_20160506_premio-carlo-magno.html

Eine Perspektive aus Frankreich

Eine Perspektive aus Frankreich

Eine französische Sicht auf 60 Jahre «Römische Verträge»

Es ist so weit!  Es sind zwar nicht alle da, aber zumindest 28 Länder wollen den 60. Geburtstag der Europäischen Union feiern. Am 25. März 1957 waren es erst sechs europäische Staaten, die  die «Römischen Verträge» unterzeichneten und damit der Schaffung einer «Europäischen Gemeinschaft» zustimmten; ab 1993 wurde diese dann zur «Europäischen Union». Unter diesen sechs Gründungs-Ländern war mit grosser Überzeugung auch Frankreich. Die Idee von Jean Monnet, die bei Robert Schumann gutes Echo fand, überzeugte die Franzosen, der grossen «Idee Europa» zuzustimmen.

Als Instrument des Friedens und der Stabilität war die «Idee Europa» im Dienste der Länder zum raschen und einfacheren Wiederaufbau des Kontinents gedacht. Seitens der damaligen und späteren Führungskräfte Frankreichs wurde Europa auch (vielleicht vor allem) als Sprungbrett zu grösserer, kontinentaler Macht und Einflussnahme gesehen. Die Liebe zum eigenen Vaterland, die Verteidigung der eigenen nationalen Werte und die Einflussnahme in der Welt haben das Handeln Frankreichs im europäischen Integrationsprozess charakterisiert. Wie schon General De Gaulle 1954 bemerkte: Die Souveränität Frankreichs anzutasten war nicht Teil des «europäischen Vertrags», und Frankreich hat bis heute daran festgehalten.

Dennoch: die grossen französischen Gründerväter, die Europa ebenso liebten wie Frankreich, haben würdige Nachfolger gefunden. Viele französische Präsidenten, angefangen bei Valéry Giscard d’Estaing, haben sich weiterhin für die  europäische Idee eingesetzt. Die hoffnungsvollen Ansagen der Gründerväter aufnehmend, hat uns D’Estaing (wie auch Jacques Delors) von einer auch politischen Europäischen Union träumen lassen: eine Union der europäischen Völker, geeint, aber im Respekt der unterschiedlichen Kulturen und Religionen.

2005, beim Referendum über die europäische Verfassung, haben die Franzosen daran erinnert, dass selbst wenn die Politik und die Regierenden vieles bewirken können,  sie doch machtlos sind ohne die Zustimmung des Volkes. Im Referendum hat die Mehrheit der Franzosen nämlich gegen die europäische Verfassung gestimmt. Die Erfahrung von 2005 zeigt sicher am deutlichsten die Haltung Frankreichs zur Europäischen Union. Eine immer wieder vernommene Aussage der Franzosen war: Selbst, wenn die Europäische Union notwendig ist, noch mehr Europa zu haben, «wäre zu viel». Warum zu viel? Weil sich die Franzosen, wie viele andere Länder, davor fürchten, in ein übernationales Europa einverleibt zu werden, in dem es keine Unterschiede mehr gibt zwischen Franzosen und Italienern, und wo die Eigenart und Souveränität jedes Landes in einem «europäischen Ganzen» verschwinden würde.

Wenn die Franzosen Europa heute akzeptieren, so deshalb, weil sie darin auch eine Wertzunahme für die eigene Identität und sozialwirtschaftlichen Ordnungen sehen können. Mehr noch, die Franzosen bejahen Europa, weil sie die Grundwerte teilen, die schon das Europa von 1957 prägten: die Solidarität, die Gemeinschaft, die Freiheit, der Friede und die Geschwisterlichkeit unter den Völkern. Es sind diese mehrheitlich auch christliche Werte, welche die Franzosen in diesem Europa sehen. Ausgenommen die religiösen Verwicklungen, fühlen sie sich verbunden mit den moralischen Grundwerten, die Europa immer noch prägen. Auch wenn auf das Bejahen dieser Werte nicht immer auch deren Umsetzung folgt – wie die aktuelle Flüchtlings-Krise zeigt –, bleibt doch die Tatsache, dass sich die Franzosen als konstituierender Teil dieser europäischen Realität fühlen.

Am 25. März 2017 werden in Rom die 60 Jahre der «Römischen Verträge» gefeiert. Das Jubiläum verdeutlich uns, dass dieses Europa noch jung ist! Die verschiedenen Anlässe, Kongresse und der Marsch für Europa werden starke Momente sein. Nebst der Notwendigkeit der politischen Wiederbelebung wird auch Gelegenheit sein, an die christlichen Werte zu erinnern, die allen europäischen Völkern gemeinsam sind. Diese Werte werden meiner Meinung nach die Grundlage für eine europäische Wiederbelebung darstellen, denn es sind heute die einzigen, die nicht Quelle von Angst sind, sondern von Einheit.

 

 

Marie Trélat, Französin, studiert Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Europäische Union – insbesondere Zentral- und Osteuropa. Sie lebt derzeit in Rom (Projekt Erasmus) und besucht die Universität LUISS Guido Carli. Sie ist Mitglied der Jungen Europäische Föderalisten (JEF) in Rom und arbeitet dort im Büro für Internationale Beziehungen. Fünf Monate lang hat sie in der französischen Redaktion des Radio Vatikan gearbeitet.

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