Zum Dialog bereit

Zum Dialog bereit

Ein Traum kann Wirklichkeit werden

Kurz vor dem großen Treffen des „Miteinander für Europa“ in Wien (9.-11.11.2017) trafen sich Vertreter verschiedener niederländischer Bewegungen, um gemeinsam über die Frage nachzudenken: Was geschieht in den Niederlanden, um Europa näher zusammen zu bringen? Und was geschieht europaweit dafür?

Holland ist dialogbereit

„Die praktizierenden Christen sind in den Niederlanden eine Minderheit, aber wir haben eine gemeinschaftliche Aufgabe“ sagt Jan Wessels von der evangelischen „Missie Nederland“. „Es geht primär darum, die Botschaft von Jesus Christus weiterzugeben. Und da können wir alle, Bewegungen und Kirchen, voneinander lernen.“

„Jeder Mensch sucht einen Traum, den er leben kann“, meint Ine Sassen-Pouwels (Charismatische Erneuerung in der Katholischen Kirche). Und wer träumt intensiver als die Jugend? Warum also den Jugendlichen der verschiedenen Bewegungen und Kirchen im „entkirchlichten“  Holland nicht eine Chance geben, um sich über ihr Leben und die daraus resultierenden Fragen auszutauschen. Die Erfahrung reiferer Jugendlicher können dabei eine Hilfestellung sein.

Jeff Fountain ist Direktor des Schumann-Zentrums für Europäische Studien, und so Spezialist in Sachen Europa. Der Neuseeländer ist  seit 40 Jahren mit einer Niederländerin verheiratet und weiß offensichtlich, worüber er spricht. Unter anderem meint er augenzwinkernd: „Holland ist besonders geeignet für einen Dialog in und für Europa. Der niederländische König Wilhelm Alexander ist das beste Beispiel dafür. Er ist ein Mix aus deutschem und russischem Blut.“

Gelebte Beziehungen

In einer Atmosphäre von großer gegenseitigen Wertschätzung ist die Freude zu spüren, alle Kräfte zusammenzulegen, um der Idee „Europa“ gemeinsam mit anderen Form zu geben. „Es geht vor allem um gelebte Beziehungen“ unterstreicht Enno Dijkma von der Fokolarbewegung. „Die Freundschaft unter uns beflügelt unsere Gedanken“. Europadiner und  Nachbarschaftsmeeting  für Europa sind nur zwei der Ideen, die in das Reisegepäck der niederländischen Delegation kommen. Am 9. November 2017 macht sie sich auf den Weg nach Wien zur Begegnung mit gleichgesinnten Vertretern aus West- und Osteuropa, um die eigenen Ideen vorzustellen und die der anderen zu empfangen. Auf das Ergebnis des Treffens darf man – europaweit – gespannt sein.

Beatriz Lauenroth

 

Geschichte studieren, leben und lehren

Geschichte studieren, leben und lehren

Der 9. November 1989 ist ein unvergessliches Datum der neueren Geschichte: die Berliner Mauer fällt. An jenem Abend saß auch ich wie gebannt vor dem Fernseher, um das unerwartete Ereignis mitzuerleben, vom dem viele, vor allem wir Jugendlichen, die eigentliche Tragweite noch gar nicht erfassen konnten.

Sicher, ich hatte in der Schule und an der Universität studiert, ich hatte sogar meinen Abschluss über moderne Geschichte gemacht, über die Jahre des kalten Kriegs und des Aufbaus des Eisernen Vorhangs… und nun zerbröckelte dieser in jenen Novembertagen unaufhaltsam. In den darauffolgenden Monaten erfuhren wir durch Zeitungen und Sonderberichten so manches über die Geschichte der Völker der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und Rumänien, die sich nun mit mehr oder weniger gewaltlosen Revolutionen  vom siebzigjährigen Joch der Sowjetunion befreiten.

An jenem 9. November 1989 hätte ich aber niemals gedacht, dass die Berichte und Bilder, die von den Medien verbreitet wurden, für mich schon bald Teil meines eigenen Lebens und zu konkreten menschlichen Begegnungen auf meinem Weg werden würden.

Es waren nur anderthalb Monate vergangen, als ich in Budapest aus dem Zug stieg, der mich von Rom über Slowenien und Kroatien nach Ungarn gebracht hatte. Tatsächlich hatte man mir eine Stelle als Italienisch- und Geschichtslehrerin an einem Gymnasium der ungarischen Hauptstadt angeboten. An jenem Dezemberabend erwartete mich in der rauchigen Atmosphäre der Bahnhofshalle eine spärliche Gruppe von Personen, die mir mit einem breiten Lächeln Blumen überreichte. Welcher Kontrast zu der Szene, die mich draußen auf dem Bahnhofsplatz  erwartete: aus großen Lastwagen stiegen gerade Duzende von russischen Soldaten aus.  Ja, dies war meine erste Begegnung mit einem Oststaat: Normale und mir gleich familiär anmutende Menschen, eingetaucht in eine graue und suspekte Atmosphäre, in der die Zeichen des „Kontrolliert-Seins“ noch deutlich spürbar waren, obwohl im Oktober 1989 der Beginn der Ungarische Republik proklamiert worden war. (Es vergingen jedoch noch gut zwei Jahre, ehe der letzte Soldat mit einem roten Stern auf der Mütze das Land für immer verließ).

Die ersten Monate in der neuen „Freiheit“ bedeuteten sowohl politisch als auch gesellschaftlich eine Übergangsphase: Während die demokratische Regierung die ersten Schritte unternahm und sich sogar mit Streiks konfrontiert sah (!), füllten sich die Geschäfte mit einer zunehmenden Vielfalt von Produkten, von denen manche aus dem Ausland kamen. Aber das Alltagsleben war immer noch kompliziert, besonders für mich Westlerin. Hatte ich mich etwa zuhause für ein Menu entschieden, war es dann nicht einfach, auf dem Markt die entsprechenden Zutaten zu finden! Eines Tages, im Jahre 1990, blockierten die Taxifahrer und die Spediteure sämtliche Brücken über die Donau, um gegen die Erhöhung der Benzinpreise zu protestieren. Sofort bildeten sich endlose Menschenschlangen vor den Bäckereien und die Regale der kleinen Geschäfte waren im nu leergeräumt. „Es ist wie 1956“ hörte ich auf dem Markt manche Leute sagen, womit gemeint war, dass wie damals das Brot fehlte. Im Grunde konnten die Menschen noch nicht recht glauben, dass das Schlimmste wirklich überstanden war.

Dass es hier um eine ganz „andere Geschichte“ ging, wurde für mich noch deutlicher, als ich mit dem Unterrichten begann. Es gab praktisch keine Geschichtsbücher, denn die vorhandenen brachten noch die von Moskau ideologisch gefärbte Version im Zeichen des Klassenkampfs. Auch musste ich meinen unwissenden Studenten Dinge beibringen, die für mich ganz selbstverständlich waren. Die eindeutigste Begebenheit habe ich in einer Schulstunde am Vorabend des Weihnachtsfestes 1990 erlebt. Um italienische Konversation zu üben, sprachen wir über die Weihnachtsbräuche in Italien. Natürlich erzählte ich mit Begeisterung von der Geburt Jesu und dessen Darstellung in den Krippen, die in diesen Tagen einen zentralen Platz in den italienischen Familien hatten. Ich redete sicher schon eine halbe Stunde, als ein brünettes Mädchen aus der hinteren Reihen sich zu Wort meldete: „Frau Lehrerin, wer ist dieser Jesus?“

Maria Bruna Romito

Die Schweizer Spurgruppe und Bruder Klaus

Die Schweizer Spurgruppe und Bruder Klaus

500 Jahre Reformation und 600 Jahre Niklaus von Flüe – was haben diese Gedenkjahre uns heute zu sagen? 260 Personen des Schweizer Netzwerkes Miteinander für Europa aus verschiedenen Kirchen trafen sich am 9. September 2017 zu diesem Thema in der Mehrzweckhalle Flüelimatte.  

Im Mittelpunkt stand die Frage: «Was bedeutet das Leben und Wirken von Bruder Klaus für uns persönlich, für unsere Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, für unser Miteinander?»

Die Teilnehmer aus fast 30 verschiedenen christlichen Bewegungen und Gemeinschaften reisten aus der ganzen Schweiz an. Bereits zu Beginn war spürbar, wie sehr für alle die Begegnung und der Austausch im Zentrum dieses Tages stand. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich die Mehrzweckhalle in unzählige, fröhliche, angeregte Runden verwandelt. «Im Miteinander» hatte die Schweizerische Spurgruppe, bestehend aus Vertretern von 10 verschiedenen Bewegungen und Gemeinschaften, diesen Tag geplant und vorbereitet.

Die Tagung war mit den vier Co-Referaten (unterschiedliche Zugänge zu Leben und Wirken von Bruder Klaus), den Chorbeiträgen, den drei Beiträgen der Schauspielgruppe zum Gebet von Bruder Klaus und dem sehr lebhaften, tiefen Podiumsgespräch sehr abwechslungsreich gestaltet.

Pfr. Geri Keller und Roland Gröbli als Bruder Klaus Experten, P. Raffael Rieger als Vertreter für Miteinander für Europa und Alisha Furer, Historikerin, als Vertretung der Jugend, waren die Animatoren der einstündigen Gesprächsrunde. Moderiert wurde sie von Selomie Zürcher, einer Geschichtsstudentin aus der Jahu-Gemeinde. Die Teilnehmer wurden durch Worte des Bruder Klaus angeregt, über ihre eigenen Erfahrungen / Grenzen zu sprechen: Was hindert mich daran, auf Menschen anderer Konfessionen zuzugehen?  Was fördert mich dazu? Welche positiven Erlebnisse von erfahrenem «Miteinander» kann ich weitergeben? Diese Anstöße haben dazu ermutigt und herausgefordert, Vorurteile abzulegen, bewusst den ersten Schritt zu tun, auch im «Miteinander im Alltag, wie etwa während einer Busfahrt».

Auch Bruder Klaus fasziniert gerade eben, weil er etliche Facetten birgt: Klaus der Mystiker, der Mittler, der Bauer, Politiker, Ehemann, Vater und Wegweiser. Einfach gesagt: Klaus der Mensch, Bruder Klaus, ist den Menschen nahe. Er ist aber auch Gott ganz nahe.

Verschiedene Teilnehmer, die aus Interesse an Bruder Klaus gekommen waren, drückten ihre Begeisterung aus, das Netzwerk Miteinander für Europa kennengelernt zu haben. Jemand kommentierte: «Danke für Euren Einsatz fürs MITEINANDER in Europa, ich gehöre ab sofort auch dazu!»

von Elisabeth Reusser

Weitere interessante Beiträge, Presseartikel, Texte und Fotos zu dieser Tagung gibt es auf der Schweizer «Miteinander» Website: http://miteinander-wie-sonst.ch/miteinander/aktuelles

Dialog?!

Dialog?!

Dialogue, Párbeszéd, Dialog, диалог, Dialogo, Dialóg…

Ein Schlüsselbegriff im heutigen Europa! Wie können wir ihn vertiefen? Wir sehen die Notwendigkeit, dass sich Ost- und Westeuropa noch besser (oder wieder) kennenlernen. Darum wird das nächste Treffen der Freunde von Miteinander für Europa in Wien (9.-11- November 2017) ein Laboratorium mit diesem Schwerpunkt sein.

Wir haben uns umgeschaut, wer uns in dieses so aktuelle Thema einführen könnte. Sicher hätten viele von euch etwas dazu beizutragen. Gesammelt haben wir vorerst einige persönliche Erfahrungen:

Gennaro Lamagna  Der Balkan aus der Sicht eines Neapolitaners>

Beatriz Lauenroth  Immer weiter gen Osten​>

Tanino Minuta (der Beitrag wird im Oktober online gestellt)

Maria Bruna Romito (der Beitrag wird im Oktober online gestellt)

Der Balkan aus der Sicht eines Neapolitaners

Der Balkan aus der Sicht eines Neapolitaners

Über eine zehnjährige Erfahrung in Slowenien, Kroatien und Rumänien zu berichten, ist nicht leicht.

Ich kann sagen, dass ich mich gleich wohlgefühlt habe. Allerdings war die Begegnung mit Slowenien anfänglich recht anspruchsvoll, so verschieden ist dieses Volks von meinem eigenen. Ich kannte die Sprache nicht, das Klima war sehr kalt, typisch war der allgegenwärtige Geruch von Kohle, die in den Öfen der Häuser brannte. Aufgefallen ist mir sofort der Sinn für Ordnung und Disziplin. Ich erinnere mich, dass ich eines Abends mit einem Freund der Kommunität vor einem Kiosk wartete, um Obst zu kaufen. Er hatte sich in die Reihe gestellt, während ich etwas beiseite stand. Auf einmal bemerkte ich, dass sich auch hinter mir eine Reihe gebildet hatte. Bald nahm ich wahr, dass sich solche Reihen selbst beim Einsteigen in die Autobusse bildeten. Das hat mich äusserst positiv beeindruckt.

Fünf Monate später zog ich nach Kroatien. Ein neues Freiheitsgefühl: Ich war unterdessen an der Universität eingeschrieben, um die Sprache zu lernen, konnte Menschen begegnen, mich frei in der Stadt bewegen und vieles mehr, was ich vorher noch nicht konnte. In den Kroaten ist mir ein Volk begegnet, das meinem sehr ähnlich ist: heiter, herzlich, gastfreundlich und es liebt das gute Essen.

Der Mauerfall

Dies war ein unvergessliches Ereignis, das ich Augenblick für Augenblick mit Freunden und vielen anderen vor dem Fernseher miterlebt habe: Wir waren Zeugen einer Welt, die sich veränderte.

Der Krieg

Der Balkankrieg war wohl eine der stärksten Erfahrungen: Ein etwas sonderbares Gefühl, denn in Zagreb, wo ich damals wohnte, waren wir nicht direkt in den Konflikt involviert. Nur in den ersten Tagen habe ich Angstmomente durchlebt, aufgrund der Heckenschützen die wahllos, von allen Seiten, auf Passanten schossen. Dennoch, was mir aus jenen Kriegsjahren am meisten geblieben ist, ist nicht die Zerstörung von Städten und Dörfern, sondern die Solidarität, die  zwischen den Menschen entstand. Die Ankunft von Lastwägen voller Nahrungsmittel, Kleider und anderem zu erleben, war schon sehr bewegend. Ich selber hatte in Neapel die Wohnung meiner verstorbenen Eltern geräumt und mit Hilfe einer Gruppe Jugendlicher den gesamten Hausrat nach Kroatien gebracht.

Gerne erinnere ich mich auch daran, dass es uns 1993 mitten im Krieg gelang, ein Festival mit etwa 3000 Jugendlichen zu organisieren: Katholiken, Orthodoxe, Muslime aus ganz Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und Moldawien. Besonders ergreifend war der Gesang einer Chorgruppe junger Muslime! Die Veranstaltung wurde von Radio und Fernsehen übertragen; am darauffolgenden Tag war die Nachricht auf der Titelseite aller Zeitungen in der Hauptstadt zu sehen.

Dakien (Rumänien)

In diesem Land habe ich erfahren, was es heisst, aus der Situation eines Quasi-Wohlstands in die Verelendung zu geraten. Dem Kommunismus – so der Eindruck – war es gelungen, die ganze kulturelle, gesellschaftliche und volkstümliche Geschichte dieses Landes zu zerstören. Für mich war es ein Schock! Ein junger Mann, den ich vom Sehen her kannte, hatte mich um Geld gebeten, aber ich konnte ihm nicht helfen, da ich die gewünschte Summe nicht bei mir hatte. Im Nachhinein habe ich mich gefragt: Warum ist er gerade zu mir gekommen?  Meine Antwort: Weil er wusste, dass ich Italiener bin und sich vorstellen konnte, dass ich immer wieder dahin zurückkehren konnte, wo ich hergekommen war. Wahre Armut ist wohl das Gefühlt wirklich nichts zu haben: weder einen Platz noch jemanden, von dem man Hilfe erwarten könnte.

Aber auch in Rumänien habe die Erfahrung tiefer Gemeinschaft gemacht, bin Schwestern und Brüdern begegnet, die sich nach dem sehnten, was ihrem Leben endlich einen Sinn geben könnte: die Liebe! Mit vielen von ihnen, wie auch mit vielen in Slowenien und Kroatien, stehe ich bis heute in einer geschwisterliche Beziehung.

Gennaro Lamagna

 

Immer weiter gen Osten

Immer weiter gen Osten

Rossiya mon Amour

Moskau im Winter 1991. Es ist früher Nachmittag, als mein Flugzeug an jenem 12. Dezember auf dem nur spärlich beleuchteten Flughafen Sheremetevo landet.

Ich habe Arbeit an der bekannten Lomonossow-Universität gefunden und ziehe mit all meinem Hab und Gut nach Russland um. Draußen ist es bereits stockdunkel, und irgendwie habe ich den Eindruck, dass hier die Welt nun endgültig zu Ende ist. Dann die Durchsagen: Anschlussflüge nach Novosibirsk und Krasnojarsk…. Da ahne ich: offensichtlich geht es hier erst richtig los.

Der Zauber des Beginns

Ich wohne in einer kleinen ökumenisch ausgerichteten Gemeinschaft in der Volocaevskaja-Strasse, in einem wie mir scheint finsteren Arbeiterviertel. „Keine Angst! Hier beschützt uns das Proletariat“, erklärt man mir auf meine Frage, warum wir nicht lieber – wie andere Ausländer – auf das komfortable Botschaftsgelände umsiedeln.

Der Kontakt mit unseren Nachbarn ist spontan: die alten Frauen im Hof, die genau wissen, wer wann wohin geht. Die kleinen Kinder, die mich im schmutzigen, muffig riechenden Treppenaufgang mit ihrer Spontanität die trostlose Umgebung vergessen lassen. Hier kommen auch unsere neuen Freunde gern zu Besuch, Kollegen und Studenten, Alte und Junge. Es stört sie nicht, dass in unserer möblierten Wohnung das Sofa von Mäusen angeknabbert wird, und dass das Wasserrohr im Flur leckt. Der Beginn unserer tiefen Freundschaft taucht alles in ein helles Licht und lässt Äußerlichkeiten  zunächst vergessen.

Die „geistlichen Kinder“ Alexander Mens

Zu Beginn der 1990er Jahre geht die gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland noch weiter rapide zurück. Die Geschäfte sind leer, es fehlt an allem. Das religiöse Leben scheint längst erloschen. Hinter Kirchenmauern befinden sich eine Wodkafabrik, Büroräume, eine Druckerei…

Wir lernen den russisch-orthodoxen Priester Alexander Men kennen. Seit den 1960er Jahren tauft er im Untergrund Tausende von Menschen und zeigt eine für die Zeit nicht ungefährliche ökumenische Offenheit. Um ihn entsteht eine lebendige Gemeinde aufgeschlossener russisch-orthodoxer Christen. Als P. Alexander hinterrücks ermordet wird, lässt er seine „geistlichen Kinder“ als traumatisierte Waisen zurück.

„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“ (Mt 18,20)

Bald schließen sich viele von ihnen uns an. Wir beginnen, gemeinsam das Wort aus der Schrift zu leben, z.B. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich unter ihnen“ (Mt 18,20). Wie sie selbst sagen, finden sie unter uns eine neue Heimat. „Ihr betreibt keinen „Proselytismus“, sondern helft uns, zu einem „Ferment“ einer sich erneuernden russisch-orthodoxen Kirche zu werden.“ Nach Jahrzehnten geistlicher Dürre erleben wir mit ihnen und vielen anderen einen neuen Frühling. Ich bin so glücklich wie nie zuvor. Der Durst nach einem gemeinschaftlichen geistlichen Leben führt uns, die wir so verschieden von Kultur, Erziehung und Mentalität sind, zusammen.

Meine Entdeckung

Mit Perestroika und Glasnost‘ kommen in den 1990er Jahren vermehrt Organisationen, Sekten, aber auch Hilfswerke der Kirchen (wie Renovabis, Kirche in Not, Bonifatiuswerk) und religiöse Bewegungen (z.B. Comunione e Liberazione, Neokatumenale, Fokolar, Comunità di S. Egidio) in die Länder hinter dem „Eisernen Vorhang“. Einige sind geblieben, viele sind wieder gegangen.

Meine persönliche Erfahrung als Westdeutsche nach fast zwei Jahrzehnten in Russland? Ich habe von diesem Land unendlich mehr empfangen als ich je werde geben können, u.a. die innere Sammlung während der reichen russisch-orthodoxen Liturgie, in der meine Beziehung zu Gott tiefer wurde, die festen Freundschaften, die auch auf Entfernung halten und die mir zeigen, dass ich geliebt werde. Ich habe ganz neu meine Berufung als Christin und als Frau entdeckt: berufen, um zu lieben. Wir haben in jenen Jahren, so denke ich, auf unsere Art die Apostelgeschichte neu geschrieben. Das „Seht, wie sie einander lieben und alles gemeinsam haben“ (vgl. Apg 4, 32) hat uns geprägt. Und so gesehen, das verstehe ich ganz neu, geht die Frohe Botschaft tatsächlich noch viel weiter… weit hinaus über Novosibirsk und Krasnojarsk.

Beatriz Lauenroth 

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